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Blog #7
In Odessa als „Undercover-Deutsche“

Ich war kaum in Charkiw angekommen, da machte ich mich auch schon wieder auf die Socken und verließ diese wunderschöne Stadt, um eine andere zu besichtigen. Wie bereits beschrieben, hatte ich in der ersten Woche die Möglichkeit, die Schüler*innen des Lyzeums kennenzulernen. Und immer wenn ich von großen Städten in Deutschland sprach – Berlin, Hamburg, München – wiesen sie mich auf die großen Städte der Ukraine hin: Kiew, Charkiw, Odessa. Kiew hatte ich besucht und in Charkiw würde ich die nächsten Wochen verbringen. Da kam es ganz wunderbar gelegen, dass Ende Oktober in der Ukraine Schulferien waren. Ich packte also meinen Rucksack, stieg zuerst in den Zug und anschließend in das Flugzeug (die Ukraine ist ein sehr großes Land und Odessa liegt knappe 700 Kilometer von Charkiw entfernt), um dann eben diese weitere große Stadt der Ukraine zu erreichen.
 
Glücklich in Odessa
Odessa Odessa | © Sabrina Bank Es war Nacht, als ich in Odessa – der weißen Perle am Schwarzen Meer – ankam. Für mich war diese Reise nicht allein aufgrund der neuen Stadt, welche ich zu erkunden plante, besonders spannend. Es war zudem meine mir selbst gemachte „Studienabschlussreise“. Als ich am ersten Abend auf dem Balkon des eher schicken Hotels meine Cola (so richtig erwachsen aus der Minibar) trank und über die Lichter der Stadt blickte, war ich ganz einfach nur eins: GLÜCKLICH. Ich glaube, ich habe erst in diesem Moment, auf dem Balkon über den Dächern von Odessa, realisiert, was in den vergangen Monaten eigentlich alles passiert war. Ich freute mich so sehr, dass das Examen geschafft ist, darauf, diese Stadt in den nächsten Tagen zu erkunden und vor allem über eins: JETZT. HIER. ZU. SEIN.

  • Am Schwarzen Meer © Sabrina Bank
    Am Schwarzen Meer
  • Am Hafen © Sabrina Bank
    Am Hafen
Am nächsten Morgen wurde ich von der Sonne geweckt. Gut gelaunt und mit einem Strahlen im Gesicht verließ ich das Hotel und rannte in die Arme eines schlecht gelaunten und mit einem „Sprich-mich-nicht-an“-Blick im Gesicht vor dem Hotel stehenden Security-Mitarbeiters. Er redete auf mich ein. Ich redete nicht. Irgendwie verstand ich, dass es ihm nicht passte, welchen Ausgang ich gewählt hatte. Hätten wir die gleiche Sprache gesprochen, hätte ich wahrscheinlich angefangen mit ihm zu diskutieren, weil ich sowas schlichtweg als Schwachsinn empfinde. Aber da eine Diskussion in dieser Situation mehr Schaden als Nutzen gebracht hätte, gab ich einfach klein bei und ging wieder rein, um dann wieder raus zu gehen (diesmal aber durch den „richtigen“ Ausgang).
 
Am Ende war die Situation in zwei Minuten geklärt und ich dachte nicht weiter darüber nach. Dabei wurde mir klar, dass es des Öfteren – insbesondere bei solch belanglosen Dingen – einfacher sein kann, das zu tun, was die schnellstmögliche Lösung verspricht, anstatt Grundsatzdiskussionen zu beginnen. Die fehlenden sprachlichen Mittel beschränken die zwischenmenschliche Kommunikation zuweilen auf das Wesentliche.
 
„Spricht das Madl denn überhaupt so gut Deutsch?“
 
Ich startete einen Spaziergang durch die Stadt. Und es war herrliches Wetter. Odessa zeigte sich mir von seiner schönsten Seite. Ich spazierte durch die Straßen und klapperte in 12 Stunden alle Sehenswürdigkeiten, die mir mein Reiseführer empfahl, ab. Dabei traf ich vor dem Theater auf eine deutsche Reisegruppe. Ich fragte die Reiseleiterin, ob ich mich eventuell fünf Minuten dazu gesellen dürfte, sie fragte die Gruppe.
 
„Spricht das Madl denn überhaupt so gut Deutsch.“
„Naja vielleicht studiert sie ja Deutsch in Kiew oder so.“
„Ich finde schon, dass sie dann was dazuzahlen kann.“ (Was habe ich diese deutsche Genauigkeit vermisst.)
„Ach. Quatsch. Jetzt lass sie doch zuhören.“
 
Und dann zog mich ein Herr mit Hut und Stock am Arm und ich stand – undercover – inmitten einer deutschen Reisegruppe und lauschte den spannenden Geschichten der Stadt. Am Ende bedankte ich mich bei der Gruppe, dass ich diese Minuten mit zuhören durfte. „Naja. Ein bissl üben muss das Madl scho noch, aber so schlecht ist ihr Deutsch ja gar ned.“
 
Das Dauergrinsen ging mir den ganzen Tag nicht aus dem Gesicht. Auch nicht, während ich mich von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit hangelte und letztendlich verirrte, weil ich diese „blöde“ Treppe nicht fand. Es stellte sich heraus, dass ich an der Potemkinschen Treppe schon x-mal vorbei gelaufen war, sie nur so schlecht erkannte, weil sie gerade renoviert wurde. Nachdem ich einen wunderschönen Tag in der Innenstadt hatte und etwa 18 Kilometer spaziert war, entschied ich mich auch noch die letzten sechs Kilometer nach Hause zu laufen.
 
Zu später Stunde schlängelte ich mich durch die hintersten Gassen von Odessa und verließ mich darauf, dass Google mir den richtigen Weg wies. So lernte ich neben den doch eher touristisch geprägten Ecken auch noch andere Seiten der Stadt kennen.
 
Puschkin wiegt mich in den Schlaf
 
Im Hotel angekommen nahm ich eine warme Dusche, die nach dem längeren Ausflug dann doch gut tat, kuschelte mich in mein Bett und lauschte dem „Postmeister“ von Puschkin, der schließlich auch längere Zeit in Odessa war und dessen Museum ich am nächsten Tag zu besuchen plante.
 
Bevor ich mich letztlich auf den Weg zu Puschkin und seinem Museum machte, entschied ich eine Runde am Schwarzen Meer zu joggen. Gesagt, getan. Ich schnürte die Laufschuhe und lief an der doch eher windigen Schwarzmeerküste entlang.
 
Ein außergewöhnlicher Museumsbesuch

 
Der Museumsbesuch im Puschkin-Museum sollte der bis dato liebevollste Museumsbesuch werden, den ich je hatte. Als ich das Hinterhäuschen des Museums betrat, wartete eine Frau im Flur, die noch schnell ihre Zigarette vor mir zu verstecken versuchte. Sie guckte mich fragend an: „Puschkin?“ Ein leicht fröstelndes aber dennoch kräftiges „DA!“ glitt über meine Lippen. Die Frau hat sich so gefreut. Wir versuchten ein bisschen zu erzählen und mixten Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Sie rief „oben“ an und verkündete, dass Besuch gekommen sei. Fein säuberlich schnitt sie mir mit einer Nagelschere meine Eintrittskarte aus.
 
Ich stieg die Treppen in dem alten Haus hinauf und die Dielen knarrten unter meinen Füßen. Dann öffnete ich die erste große Flügeltür. Dahinter schwirrte eine weitere Frau herum. Sie bereitete alles vor, stellte den Heizlüfter auf volle Kanne, platzierte mich auf dem Stuhl daneben und legte mir einen A4-Hefter hin, indem auf Deutsch erklärt war, was ich in den kommenden Räumen sehen werde. Nachdem ich nun in ihrem Beisein all diese Räume besichtigte, und sie mich immer wieder auf besondere Schätze aufmerksam machte, führte sie mich in einen weiteren Teil des Museums und übergab mich in die Obhut einer dritten Frau, welche bestimmt 90 Jahre alt war.
 
Wenn ich mich an ihre Fröhlichkeit zurück entsinne, wird mir ganz warm ums Herz. Sie atmete einmal tief durch und redete drauf los. Vor uns lag eine Gemäldegalerie mit Puschkins Familie, Zeitgenossen und Co. Dahinter wartete noch ein bisschen moderne Kunst. Die hat ihr nicht gefallen. Das war schnell klar.
 
Ich verbrachte drei Stunden in diesem kleinen gelben Hinterhäuschen. Drei Stunden voller Glück, Freude und Herzenswärme und ich rate jedem, der plant, nach Odessa zu fahren, neben den ganzen Sehenswürdigkeiten auch einen Schritt in dieses Museum zu wagen und sich von der Freude dieser drei Damen verzaubern zu lassen.

In Odessa In Odessa | © Sabrina Bank

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