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Praxistipp: Unterricht nach der Pandemie
Impulse für einen zeitgemäßen Unterricht

Schülerinnen und Schüler mit Lehrerin im Klassenzimmer
© Goethe-Institut/GettyImages

In der Pandemie mussten sich Lehrkräfte von dem einen Tag auf den anderen auf Unbekanntes einlassen. Unter großen Anstrengungen haben viele diese Herausforderungen gemeistert. Bei dem verständlichen Wunsch nach der Rückkehr zur „Normalität“, stellt sich die Frage, wie die „Normalität“ aussieht. Welche Erkenntnisse können Lehrer*innen aus der Pandemie für einen zeitgemäßen Unterricht ableiten?

Von Christiane Bolte-Costabiei und Stefan Häring

Die Pandemie hat das Bildungswesen durcheinandergewirbelt und die Notwendigkeit einer neuen (komplexeren) Unterrichtskultur mit neuen Lernräumen verdeutlicht. Auch zeigen die gegenwärtigen, durchaus aufgeregten Diskussionen um ChatGPT und andere KI-Technologien, wie grundlegend gesellschaftliche und technologische Entwicklungen traditionelle Unterrichtsverfahren in Frage stellen.

(Fast) alles ist anders

Bei der Umstellung von Präsenz- zu Onlineunterricht während der Pandemie konnten Sprachlehrer*innen durchaus beruhigende Erfahrungen machen, indem sie viele bekannte Elemente aus dem analogen Unterricht in den Onlineunterricht übertragen konnten. Dazu zählen beispielsweise der systematische Aufbau von Unterrichtsphasen von Ankommen und Einstieg bis hin zu Anwendung, Evaluation und Abschluss, zielgerichteter Methodenwechsel, das Arbeiten in unterschiedlichen Sozialformen und die Realisierung didaktisch-methodischer Unterrichtsprinzipien. Gleichzeitig zeigte sich, dass analoger Unterricht nicht eins zu eins ins Digitale übersetzt werden kann. Didaktische Konzepte müssen spezifische Grundvoraussetzungen des digitalen Lernens berücksichtigen, wie etwa unterschiedliche physische Räume, das Nebeneinander und Ineinandergreifen von Alltag, Beruf und Lernen, die zunächst fehlenden sozialen Kontakte, die unmittelbare Verfügbarkeit digitaler Instrumente und Hilfsmittel, die geringeren Aufmerksamkeitsspannen, die reduzierte Wahrnehmung von Seiten der Lehrer*innen und die diversen technischen und sozialen Voraussetzungen der Lerner*innen.

Nach diesen Erfahrungen waren viele Lehrkräfte froh, in die Normalität zurückzukehren, merkten aber schnell, dass die alte Normalität sich verändert hatte und Unterricht neu gedacht werden musste. Die Schwachstellen vieler Bildungssysteme weltweit, die während der Pandemie zum Vorschein kamen, brauchen eine langfristige Neukonzeption von Unterricht. Dies macht die nächsten Jahre besonders herausfordernd und spannend, nicht zuletzt deshalb, weil alle Beteiligten die neuen Konzepte mitgestalten können.

Die Lerner*innen im Blick

In der Pandemie hatten jene Lerner*innen einen Vorteil, bei denen selbstständiges Arbeiten schon länger etabliert war. Die Mehrheit der Lerner*innen allerdings war den Anforderungen an das neue Lernen in einem neuen Lernraum nicht gewachsen und schaffte es nicht, sich Lerninhalte auch selbstständig zu erarbeiten. Um den Herausforderungen einer sich schnell verändernden Gesellschaft und den technologischen Entwicklungen gerecht zu werden, ist es wichtiger denn je, die Autonomie der Lerner*innen zu fördern und Selbststeuerung im Unterricht mitzudenken.
  4-K-Modell: Kreativität, Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken © Goethe-Institut In der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist das 4-K-Modell, bei dem der Fokus auf dem Kompetenzerwerb von Lerner*innen liegt, eine Antwort auf diese Herausforderungen. Dabei stehen die vier Schlüsselkompetenzen Kollaboration, Kreativität, kritisches Denken und Kommunikation im Zentrum, die im Unterricht gezielt gefördert werden sollten, indem Lerner*innen nicht nur Sprachwissen, sondern auch die Fähigkeit erlangen, kollaborativ zu arbeiten, kreativ zu denken und zu handeln, effektiv zu kommunizieren und kritisch zu denken. Der Unterricht sollte daher so gestaltet werden, dass diese Kompetenzen gezielt gefördert werden.

Lehrkräfte sollten zudem die Heterogenität innerhalb von Lerngruppen im Blick haben. Aufgrund verschiedenster Faktoren wird diese immer diverser. Deshalb ist es zunehmend von Bedeutung, die individuellen Bedürfnisse und Stärken der Lerner*innen zu berücksichtigen. Die Integration von digitalen Instrumenten und flexible Online-/Offline-Settings ermöglichen eine inklusive Lernumgebung, welche die individuelle Entwicklung aller Lerner*innen unterstützen kann.

Praxistipps:

  • Planen Sie im Unterricht Zeit für die kognitive, metakognitive und affektive Reflexion über das eigene Lernen ein. Lassen Sie Ihre Lerner*innen die Reflexionsphasen auch in Peers durchführen.
  • Fördern Sie Kollaboration und Kommunikation durch kreative Projekte und viel Gruppenarbeit.
  • Formulieren Sie Aufgaben so (um), dass kritisches Denken durch Diskussionen und Problemlösungen sowie Kreativität der Lerner*innen gefördert werden.
  • Stellen Sie auch auf niedrigen Sprachniveaustufen kognitiv anspruchsvolle Aufgaben, die das kritische Denken unterstützen.
  • Analysieren Sie sorgfältig die Ausgangslage Ihrer Lerngruppen. Überlegen Sie, mit welchen Instrumenten Sie sie unterstützen und fördern können.
  • Ergänzen Sie Ihre Lehrmaterialien mit variierenden Aufgaben für die unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lerner*innen. Oft ist dies mit wenig Aufwand machbar.

Die Ebene der didaktisch-methodischen Unterrichtsgestaltung:

Die Kompetenzen vieler Lehrkräfte in Bezug auf den sinnvollen und zielgerichteten Einsatz digitaler Tools haben sich während der Pandemie rasant weiterentwickelt. Nun gilt es, diese Entwicklung fortzusetzen und die digitalen Möglichkeiten auch im Klassenraum in das präsentische und analoge Lernen zu integrieren und produktorientierte, multimediale Aufgabengestaltung anzubieten, die verschiedene Bearbeitungswege und unterschiedliche Arbeitsformen berücksichtigt.

Aufgaben sollten relevante Bearbeitungswege mit sozialen Medien, KI-basierten Anwendungen, digitalen Ablagesystemen und anderen Technologien ermöglichen. Um die unterschiedlichen technischen und sozialen Voraussetzungen der Lerner*innen zu berücksichtigen, sollten Lehrer*innen auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Lerner*innen eingehen und kooperatives Arbeiten ermöglichen.

Praxistipps:

  • Integrieren Sie digitale Geräte sowie Aufgaben und Übungen mit digitalen Tools in Ihren Unterricht. Da die meisten davon in unterschiedlichen Unterrichtsphasen einsetzbar sind, brauchen Sie hierfür nur ein sehr begrenztes Set an Tools.
  • Ermöglichen Sie unterschiedliche Bearbeitungswege. Lassen Sie zum Beispiel die Lerner*innen entscheiden, in welcher Arbeitsform und mit welchem Medium sie einen Text oder ein Lernprodukt erstellen.
  • Gestalten Sie gemeinsam mit Ihren Kolleg*innen den Lernraum so, dass er schnell und flexibel kooperative Arbeitsformen zulässt. Sollte das nicht möglich sein, üben Sie mit Ihren Lerner*innen, den Klassenraum schnell umzugestalten.

Die Ebene des Lehr-/Lernsettings:

Lehrer*innen und Bildungseinrichtungen sollten Unterricht durch verschiedene Lehr- und Lernsettings dynamischer und vielfältiger gestalten. Beispielsweise können Hausaufgaben kooperativ über Lernplattformen, digitale Tools und synchrone Kommunikationswege organisiert werden.
Instruktive Unterrichtsinhalte können sie nach dem Prinzip des Flipped Classrooms anbieten, indem sie Erklärvideos und andere Materialien zur individuellen Vorbereitung bereitstellen.

Diese Herangehensweise erfordert von den Lerner*innen mehr Selbststeuerung. Damit Lerner*innen dies leisten können, sollten Lehrkräfte in mündlicher und schriftlicher Form lernförderliches und ausführliches Feedback geben. Daneben können Sprechstunden, Audioaufnahmen oder Screencasts weitere Formen sein, um schnell und auch außerhalb des Unterrichts Rückmeldung zu geben.

Praxistipps:

  • Arrangieren Sie Ihre Lehr-/Lernsettings nach den Möglichkeiten, die Ihnen Ihre Institution zur Verfügung stellt, neu.
  • Etablieren Sie im Rahmen Ihres Unterrichts Sprechstunden – individuell oder in kleinen Gruppen.

Die Ebene des Arbeitskontextes bzw. der Institution und der Lehrkräfte:

Im Zuge der pandemischen Jahre haben viele Lehrkräfte gelernt, sich gegenseitig zu unterstützen, gemeinsame Tool- und Materialpools zu erstellen und Erfahrungen über Erfolge und Misserfolge von Experimenten auszutauschen. Im Team können Lehrer*innen auf strukturelle Veränderungen innerhalb des Arbeitskontextes oder der Organisation einwirken, um Lernsettings zu flexibilisieren, digitale Infrastrukturen bereitzustellen und weitere notwendige Ressourcen zugänglich zu machen.

Zusätzlich zur Förderung von Kooperation und Vernetzung unter Lehrkräften sollten (modular aufgebaute) Fortbildungen kontinuierlich und ritualisiert in den Arbeitsalltag integriert werden. Gleichzeitig bieten Fortbildungen eine gute Möglichkeit, sich über die eigene Institution hinaus zu vernetzen und sich auszutauschen.

Praxistipps:

  • Überlegen Sie, was Ihre Institution im Sinne der Bildung von Kooperationen schon macht. Machen Sie Vorschläge oder starten Sie in einem kleinen Team eigeninitiativ, indem Sie digitale Materialpools anlegen und exemplarisch füllen. Ermutigen Sie Kolleg*innen mitzumachen.
  • Bleiben Sie auf dem neuesten Stand und denken Sie bereits jetzt darüber nach, wie Sie Aufgaben für den Unterricht und Hausaufgaben mithilfe von zum Beispiel KI-basierten Anwendungen gestalten können.
  • Recherchieren Sie, welche Bildungseinrichtungen kurze und regelmäßige Fortbildungen anbieten. Versuchen Sie wenigstens einen neuen Impuls aus den Fortbildungen immer direkt umzusetzen. Reflektieren Sie die Umsetzung: Was hat gut funktioniert? Was nicht und warum?

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